Unterschätzt die NATO eventuell die
modernisierten, russischen Streitkräfte?
Wie gefährlich ist Putins „Rote Armee“?
VON HANS-JÖRG VEHLEWALD
LANGE WURDE RUSSLANDS ARMEE VERLACHT. DOCH AUS DER ÜBERALTERTEN BLECH-BÜCHSEN-TRUPPE DER SOWJET-ÄRA IST SEIT EINIGEN JAHREN WIEDER EINE SCHLAGKRÄFTIGE STREITMACHT GEWORDEN, VOR DER DIE WELT ZITTERT – NICHT ERST SEIT DEM KRIM-FELDZUG!
Der Westen ist alarmiert: Die Ukraine und die Krim seien „nur ein Teil des Gesamtbildes“, warnt Nato-Generalsekretär Anders Fogh Asmussen im „Wall Street Journal“. Hinter Putins Aktionen stecke „sein starkes Bedürfnis, Russland seine Größe zurückzugeben, indem er die Einflusszone des ehemaligen Sowjetreichs wieder etabliert“. Und dafür braucht Moskau eine Armee, die der Westen ernst nimmt.
Tatsächlich, der Wandel ist gewaltig!
Als Putins Streitkräfte im August 2008 in Georgien einmarschierten, blieben seine Panzer auf halber Strecke liegen, rostige Raketen blieben in den Silos stecken, mussten durch Langstreckenbomber ersetzt werden. Kampfjets hoben nicht ab oder stürzten vom Himmel. Und dank antiquierter Funktechnik konnten viele Soldaten die Befehle ihrer Offiziere kaum verstehen. Chaos pur, auch wenn die Söhne und Enkel der glorreichen „Roten Armee“ die Georgier am Ende doch noch besiegten.
Die Blamage vom Sommer 2008 war für den damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew und Wladimir Putin (damals Ministerpräsident) der Startschuss für ein gewaltiges Projekt: die Modernisierung der Russischen Streitkräfte; Umbau von der Massenarmee zu einer schlagkräftigen Einsatztruppe, die Krisenherde in Nachbarstaaten oder auf eigenem Terrain schnell und effektiv besetzt und Konflikte eindämmt. Dazu wurde 2009 die Militärdoktrin des Kreml offiziell umgeschrieben. Von jetzt an sollten auch „Friedenseinsätze“ möglich werden, um russische Staatsbürger im Ausland vor „bewaffneten Angriffen“ zu schützen – die Krim ließ schon damals grüßen...
Seitdem hat Russlands Führung Milliarden Dollar in modernere Waffensysteme gesteckt, den Wehrhaushalt (90 Millarden Dollar/Jahr) um mehr als 30 Prozent hochgefahren. Der Anteil für Rüstungsausgaben am Bruttosozialprodukt stieg auf zuletzt 4,5 Prozent. Zum Vergleich: Frankreich liegt bei 1,9 Prozent, Deutschland bei 1,3 Prozent der Wirtschaftskraft.
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„Wir sollten die Stärke der russischen Armee nicht unterschätzen“, sagt Nato-Chef Rasmussen. Seit 2008 habe es „eine unglaubliche Entwicklung“ gegeben bei der Fähigkeit der Russen, schnell und entschieden einzuschreiten. „Wir beobachten eine bessere Vorbereitung, bessere Organisation und mehr Blitzaktionen. Und sie haben in mehr moderne Ausrüstung investiert.“
Das Geheimnis von Putins neuer Roter Armee: Weniger Masse, mehr Klasse!
Heer, Luftwaffe und Marine wurden von nominell 1,13 auf weit unter eine Million Soldaten reduziert, ganze Dienstränge abgeschafft. Die Reservearmee schrumpfte sogar von 20 Millionen Mann auf jetzt gerade noch 700 000.
Die Ausbildung der Soldaten wurde massiv gestrafft und verbessert: So mussten Piloten 2008 gerade mal 25 bis 40 Übungsstunden pro Jahr nachweisen, seit 2012 sind es bis zu 100 Stunden, berichtet Margarete Klein, Russland-Expertin der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Das Ziel sei: Heer und Luftwaffe sollen koordinierter zuschlagen können.
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Um frischen Nachwuchs für Putins Armee zu akquirieren, sollen bis 2017 rund 500 000 neue Zeitsoldaten angeworben werden. Dafür wurde vor zwei Jahren sogar der Sold verdoppelt.
Und auch beim Equipment der Kämpfer will Putin massiv nachbessern! 2008 galten gerade mal zehn Prozent der russischen Waffen als „auf dem neuesten Stand“. Bis 2020, so der Plan der Generäle, soll der Anteil auf 70 Prozent steigen. Geplantes Gesamtbudget: 750 Milliarden Dollar.
So will Moskau bis 2020 etwa sieben Milliarden Dollar für moderne Drohnen ausgeben, die Marine bekommt 40 neue U-Boote und Fregatten. Auch ein neuer Tarnkappen-Jet („T 50“) ist in Planung. Es soll die altgedienten MiG-Kampfbomber unterstützen.