Euro-Krise: “Die Politik bereitet vor und steht Schmiere”
Handelt es sich bei der Euro-Krise um den "größten Raubzug der Geschichte"? Die Ökonomen Marc Friedrich und Matthias Weik sind davon überzeugt und halten die Krise für nicht lösbar. Sie beschreiben düstere Szenarien und befürchten den totalen Crash, sofern sich an der Krisenintervention nichts ändert. Sind die Rettungspläne komplett gescheitert? Wir haben nachgefragt.
Die Ökonomen Marc Friedrich und Matthias Weik rütteln mit ihrer spektakulären Publikation “Der größte Raubzug der Geschichte” an den Beteuerungen vieler Politiker, die Finanz- bzw. Bankenkrise sei weitgehend überstanden. Fakten sprechen eine ganz andere Sprache. Demnach verschärft sich die Krise in einigen europäischen Ländern weiter. Wird Krisen- und Euro-Gipfelmanagerin Angela Merkel (CDU), die aus wahltaktischen Gründen lange schwieg, schon bald mit neuen (alten) Rezepten und weiteren gigantischen Verschuldungsplänen aus der Hecke schießen? Im Gespräch mit den Ökonomen und Autoren Marc Friedrich und Matthias Weik.
Marc Friedrich und Matthias Weik, in Ihrer Publikation: “Der größte Raubzug der Geschichte- Warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden” beschreiben Sie die Situation rund um die Finanzkrise in düsteren Szenarien. Für wie gescheitert halten Sie die Rettungspläne der Verantwortlichen?
Seit 2008 wird lediglich volkswirtschaftliche Schadensmaximierung betrieben. Die Krise ist unlösbar. Würde es eine Lösung geben, hätte uns die Politik diese schon längst präsentiert. Stattdessen wird nur teuer Zeit erkauft auf Kosten der Allgemeinheit. Die Ursachen der Krise wurden aber nie wirklich angegangen. Parallel wird die Halbwertzeit der Rettungspakete immer kürzer und vor allem immer teurer. Sobald ein Brand gelöscht wurde, entfacht sich woanders wieder ein neues Feuer.
War die Einführung des Euros aus Ihrer Sicht ein kausaler Fehler?
Der Euro war leider von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Noch nie in der Geschichte der Menschheit hat eine Währungsunion funktioniert. Ein Blick in die Vergangenheit hätte uns viel Leid und Wohlstandsverlust erspart. Die letzte Währungsunion auf europäischer Ebene, die lateinische Münzunion, zerbrach 1927 – ironischerweise wurde deren Ende damals ebenfalls von Griechenland eingeläutet. Es war alles schon einmal da.
Aus ökonomischer Sicht war es Irrsinn, Volkswirtschaften wie Deutschland und Österreich unter eine Währung und in ein Zinskorsett zu stecken mit strukturschwachen Ländern wie Portugal, Italien oder eben Griechenland. Das politische Währungsexperiment Euro ist jetzt schon gescheitert und wird momentan nur mit enormen Anstrengungen und Steuergeldern künstlich am Leben erhalten. Was wir momentan erleben ist die größte Insolvenzverschleppung, welche die Menschheit jemals gesehen hat.
Verantwortliche Politiker suggerieren – auch durch ihr Schweigen – die Krise sei vorbei. Treffen solche Prognosen überhaupt zu?
Barosso und Schäuble haben Anfang des Jahres verkündet “Die Krise ist vorbei”. Wenige Monate später entfachte die Krise einen neuen Flächenbrand in Zypern und strafte alle der Lüge. Die Krise ist natürlich nicht vorbei, sondern macht lediglich kleine Verschnaufpausen um neue Kraft zu sammeln. Ich denke dies war vor allem vor der Bundestagswahl auch eine gehörige Portion Zweckoptimismus, der aber leider völlig fehl am Platze ist.
Mit überwältigen Zustimmungswerten haben die Bürger Angela Merkel gerade politisch gestärkt. Hat die alte und vermutlich auch neue Regierungschefin die Bürger tatsächlich gut durch die Finanzkrise gebracht oder flattert uns schon bald eine saftige Abrechnung ins Haus?
Die Mehrheit unserer Mitmenschen hat den bequemsten Weg gewählt. Alles soll so bleiben wie es ist, nur keine Änderung und “Mutti” wird’s schon richten. Es war ja auch leider nur eine Wahl zwischen Pest, Cholera und anderen unangenehmen Hautkrankheiten. Die Politik wird alles tun, um den Status Quo zu erhalten. Dinge, die momentan noch als alternativlos abgelehnt werden, sind dann plötzlich opportun – ob das Eurobonds, Steuererhöhungen, Schuldenschnitte oder eine Art Marshallplan für Südeuropa sein werden. Seit dem 01.08. ist der Bail-in EU Gesetz. Damit haftet im Notfall jeder Bankkunde, der mehr als 100.000 Euro auf seinem Konto hat für seine Bank, falls diese in Schwierigkeiten gerät. Dies ist eine neue Eskalationsstufe der Eurorettung und sendet ein verheerendes Signal nach außen. Welcher Investor will jetzt noch in der Eurozone investieren und Geld anlegen und das Geld auf dem Konto ist nicht mehr sicher.
Des Weiteren werden wir alle durch die Niedrigzinsphase schon jetzt enteignet. Wenn nun etwas Größeres passieren sollte, dann darf man sich nicht auf die Aussagen der Politik und die Gesetze verlassen, denn diese werden dann einfach rückwirkend geändert oder einfach gebrochen. Genauso wie die Maastrichter und Lissaboner Verträge. Klar ist: Nach der Wahl ist vor dem Zahltag!
Wie stark waren aus Ihrer Sicht Politiker daran beteiligt, dass es überhaupt zu einer solchen Jahrhundert-Krise kommen konnte und welche Fehler führten zum Desaster?
Es gab mehrere Ursachen die zur Krise geführt haben. Neben einem Geldsystem, welches eine mathematisch begrenzte Lebensspanne hat, führten die Deregulierung der Banken und Märkte, sowie die Globalisierung, die Gier und die falschen Entscheidungen der Politik und Notenbanken zur Katastrophe. Fakt ist, dass die Politik Hand in Hand mit der Finanzbranche die Krisen verursacht hat. Anders gesagt: Die Politik bereitet vor und steht Schmiere während die Finanzbranche die Tat ausführt.
Wir haben es wohl ganz generell mit einem Zeitalter der Gier zu tun, die unglaubliche virtuelle Geschäftspraktiken generiert in der Hoffnung auf Wahnsinnrenditen. Ich erinnere an Wettgeschäfte auf Zinsabstände wie etwa “Spread Ladder Swaps“, die auch hierzulande ganze Kommunen ins Schwanken brachte. Können wir es uns so leicht machen und die Ursachen stets nur bei den bankrotten südeuropäischen Staaten zu suchen?
Hier muss man erst einmal einen Mythos aus der Welt schaffen: Nicht wir haben die Griechen und Iren gerettet sondern die Griechen und Iren haben unsere Banken gerettet. Die Rettungsgelder gingen 1:1 über Athen und Dublin direkt nach Paris, London und Frankfurt um die Bankentürme vor dem Kollaps zu schützen. Die fatale Zinspolitik der EZB hat zur Blasenbildung in Südeuropa geführt und letztendlich zur Krise. Südeuropa hat jahrelang ein viel zu günstiges Zinsniveau genossen und die Party ist jetzt vorbei. Das ist wie nach einer durchzechten Nacht mit viel Alkohol. Der Abend war vielleicht lustig und schön, aber am Morgen danach muss man die Zeche und den Tribut zahlen.
Der Ausgangspunkt der Misere seien geplatzte Immobilienblasen in den Vereinigten Staaten, heißt es. Dort erhielten auch jene Leute Häuser auf Kredit, die keinerlei Sicherheiten boten. Schließlich wurden die faulen Kredite in seltsame Derivat-Gemische gewickelt und weltweit als sensationelle Anlagegeschäfte verhökert. Gab es weitere Ausgangspunkte?
Selbstverständlich! Weitere Krisenverursacher waren die Deregulierung durch Thatcher und Clinton, also das Ende des Trennbankensystems, die Aufhebung von Bretton Woods durch Nixon, die fehlende Haftung der Verursacher, die Giralgeldschöpfung der Banken etc.
Haben Sie als Ökonomen eine Vorstellungskraft, was in den Köpfen von Finanzjongleuren vorgehen könnte, die derart abgebrüht ganze Volkwirtschaften an den Abgrund des finanziellen Bankrotts drängen?
Gier, pure Gier, Egoismus und Maßlosigkeit.
Warum sitzen die Verursacher überwiegend NICHT im Gefängnis?
Wegen Geld und Vitamin B. Des Weiteren, weil es an einem Verursacherprinzip fehlt und die mangelnde Haftung. Solange die Banken sich freikaufen können und keine wirklich wirksamen und drastischen Strafen verhängt werden, werden die Banken auch ihre Geschäftspolitik nicht ändern. Warum auch? Solange die Strafen niedriger sind wie die Gewinne die durch ihre dubiosen und kriminellen Geschäfte erzielt werden, gibt es für sie keinen Grund irgendetwas zu ändern.
Der Umgang mit der Bewältigung der Krise hat inzwischen seltsame Züge angenommen. EZB-Chef Mario Draghi ordnete eine Niedrigzinspolitik an und hält extrem lange daran fest. Zum Abbau der Staatsverschuldung mag das gut sein, doch Anleger haben es angesichts niedrigster Zinsen mit Vermögensenteignungen zu tun. Wie beurteilen sie ein solches Prozedere und wohin wird es führen?
Verheerend! Durch die Niedrigzinsphase werden wir gerade alle schleichend enteignet. Wir haben dies in unserem Buch leider richtig analysiert und vorhergesagt. Wir alle werden für die Krise zahlen und enorm an Wohlstand verlieren. Die Notenbanken stecken in einer Zwickmühle. Wenn sie die Zinsen erhöhen sollten, würden sie das Wirtschaftswachstum abwürgen, die Börsen würden in den Sinkflug gehen und die Staatsanleihenblase würde platzen. Wenn sie die historisch tiefen Zinsen belassen, wird es eine heftige Inflation geben. Man hat sich für den letzteren Weg entschieden. Auf diese Art und Weise kann sich der Staat auf Kosten der Bürger entschulden.
Angela Merkel wird trotz allem auch auf europäischer Bühne als glänzende Krisenmanagerin gefeiert. Was halten Sie von dieser Beurteilung?
Sie hat Deutschland in ihrem Maße versucht zu schützen, kurzfristig okay aber langfristig mit fatalen Auswirkungen. Nach dem Schock 2008 wollte man so viel ändern und machen und hat im Endeffekt nichts davon umgesetzt.
Welche Wege könnte es geben, um das gesamte Finanzsystem wieder auf solidere Beine zu stellen? Es ist wohl unstrittig, dass es so nicht weitergehen kann.
Man müsste einfach die Fehler der Vergangenheit ausmerzen. Dies wird aber nicht geschehen. Freiwillig wird weder die Politik noch die Branche einen Wandel herbeiführen. Im Gegenteil – es wird alles getan werden um den Status Quo zu erhalten, egal um welchen Preis. Jetzt schon werden am laufenden Band hierfür Gesetze gebrochen. Für uns als überzeugte Europäer und Demokraten ist dies unerträglich. Leider wird erst ein katastrophales Ereignis mit viel Elend und Leid den notwendigen Wandel erzwingen. So etwas wie ein finanzielles Fukushima oder ein Bürgerkrieg. Wir haben noch die Hoffnung, dass es soweit nicht kommt. Druck und Wandel müssen von unten, von der breiten Masse kommen.
Das Leiden der ganz normalen Bürger hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit ist in so manchen südeuropäischen Staaten gewaltig. Selbstmorde, Armut und große Verzweiflung regieren diese Länder. Müssen wir nicht helfen (Stichwort Schuldenschnitt plus Marschall-Plan), anstatt die Menschen dort immer weiter in die Enge zu treiben?
Absolut. Im Süden Europas und in Irland hat die volkswirtschaftliche Schadensmaximierung schon erheblichen und teilweise irreparablen Schaden angerichtet. Wie viel Jugendarbeitslosigkeit muss es sein, damit erkannt wird, dass der Euro Europa nicht eint sondern zerstört? Dass wir eine ganze Generation verbrennen, um eine jetzt schon gescheitere Währungsunion und ein politisches Währungsexperiment zu retten?
Was raten Sie als Ökonomen im Sinne von Sofortmaßnahmen?
Aus ökonomischer Sicht müssten alle betroffenen Länder den Euro verlassen, ihre eigene Währung implementieren, auf- oder abwerten um Wettbewerbsfähigkeit zu erlangen. Um dann die europäische Idee im Kern zu retten, muss man die Schulden erlassen. Das wird so oder so kommen. Zu guter Letzt wäre eine Art Marshall Plan für die Länder aufzustellen, um die ausufernde Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen und wieder eine nachhaltige, wertschöpfende Industrie aufzubauen. Alles andere wird nichts bringen. Schon jetzt haben Menschen jahrelang kein Geld in die Rentenkasse bezahlt und auch diese Menschen werden irgendwann in Rente gehen und dann vor einer enormen Altersarmut stehen. Das wird eine riesige Welle, die da auf uns zukommt.
Wagen Sie eine Prognose, wie die Krise endet, wenn die europäischen Staats- und Regierungschefs in derzeitiger Form weiter intervenieren und am bisherigen Instrumentenkasten festhalten?
Wenn weiterhin an den nachweislich falschen Wegen festgehalten wird, kommt es zu massiven wirtschaftlichen Verwerfungen. Die Schere zwischen Arm und Reich wird noch weiter auseinander gehen und es kommt zu einer Radikalisierung der Jugendlichen, sowie zu einem Bürgerkrieg. Der Euro wird scheitern und uns enorm viel Wohlstand kosten. Wir alle werden verlieren und abgeben müssen über Steuern und Enteignungen.
Um es bildlich darzustellen: Wenn wir 2008 mit 120 km/h gegen eine Wand gefahren sind, haben wir bis zum heutigen Tage die Geschwindigkeit auf 240 km/h erhöht, aber uns parallel dazu auch noch abgeschnallt und den Airbag deaktiviert. Noch nie war mehr Geld im System wie aktuell. Noch nie waren die Länder mehr miteinander verbunden. Nie war es komplexer und es sind viele undefinierbare Variablen im Spiel. Keiner weiß, welche Krise den endgültigen Knall auslöst. Ist es die japanische Kamikazewirtschaftspolitik, das chinesische Schattenbankensystem, ein Börsencrash, die Staatsanleihenblase, ein Staatsbankrott oder ein Krieg? Alles ist möglich!
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Sprache: Deutsch
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ISBN-10: 382882949X
ISBN-13: 978-3828829497
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Preis 19,90 Euro
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