Montag, 3. Dezember 2012

Martha's Advents-Box 2012 *** 3. Dezember

NEU: Martha's Advents-Box 2012 *** 3. Dezember (von Martha Stadlmair) (03.12.2012)


3. Dezember 2011

Weihnachten der Tiere

Zu Heiligabend bescheren wir auch die Vögel in unserem Garten. Das
Vogelhäuschen wird mit Tannenreisern und roten Äpfelchen geschmückt
und die karge Winterkost mit frischen Hirsekolben aufgebessert. 


Hinter der Gardine versteckt, beobachten die Kinder das Treiben rund um 
das Vogelhäuschen. Sie entdecken Zeisige, Rotkehlchen, Finken, ja sogar 
der scheue Zaunkönig lässt sich blicken.

Da schleicht die fette Nachbarskatze heran. Es ist nicht der Hunger, der 
sie hertreibt – üble Mordlust schillert in ihren grünen Augen. Und bevor 
die Kinder es begriffen haben, peitscht ihr Schwanz den glitzernden 
Schnee, sie setzt an zum Sprung, fliegt schier durch die Luft und schon 
hat sie eines der Federbündel erwischt. 

Die Vögel fliegen davon. Zeternd hocken sie im Schutz der dichten 
Dornenhecke. Das Vogelhäuschen liegt verwaist. Die Katze verlässt den 
Ort ihrer Untat, ganz so als sei sie sich keiner Schuld bewusst. Umsichtig 
setzt sie eine Pfote vor die andere und hinterlässt eine niedlich 
hingetupfte Perlenschnur im frischen Schnee. 

Die Kinder stürzen hinaus. „Du böse, böse Katze!“ schimpft das kleine 
Mädchen. Der Junge nimmt das tote Vögelchen in die Hand – ein 
Rotkehlchen. Matt hängt sein Köpfchen zur Seite. Die Augen sind offen 
und glänzend, noch ganz lebendig, als sei es, vom Tod überrascht, noch 
nicht dazu gekommen, den Ausdruck des Gestorben-Seins zuzulassen. 

„Noch nicht einmal gefressen hat sie es“, klagt das Mädchen. „Nur ein 
wenig herumgeworfen und dann liegengelassen.“ Sie deutet auf die 
zarten Flaumfederchen rund um das Vogelhäuschen. Ich versuche zu 
trösten. „Sicher war der Vogel alt und krank“, sage ich mit wenig 
Überzeugung. „Das ist der Lauf der Natur.“

Die Kinder schweigen. Sorgsam betten sie das Vögelchen in ein Loch, das 
sie mühsam in den gefrorenen Boden gescharrt haben. 

Sie sprechen es nicht aus. Vielleicht um mich zu schonen. Aber auch sie 
wissen: der Vogel war nicht alt und krank. Er war nur hungrig und die 
vorbereitete Futterstelle bot verlockende Sättigung ganz ohne Mühe. 
Die Vögel werden wieder kommen. Und die Katze wird sich wieder einen 
herausfangen und ihn töten ohne zu fressen. 

Denn die Katze ist satt.


© Ulrike Blatter

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