Steckt mehr hinter den Favela-Bränden von São Paulo?
(von GBC-Team) 13.10.2012
In einem unserer Beiträge berichteten wir über ein erneutes Großfeuer in
einer Favela, bei dem über 1.100 Menschen obdachlos wurden. Zunächst
erschien es als eine Verkettung von unglücklichen Umständen, dass die
Feuerwehr in diesem Jahr so häufig in die Favelas von São Paulo
ausrücken musste, um dort Brände zu bekämpfen.
Die Feuerwehrstatistik beziffert die aktuelle Einsatzzahl in Favelas in
diesem Jahr auf 68. Das Zivilschutzamt benennt offiziell genau die Hälfte
an Bränden in Favelas von São Paulo – nämlich 34. Diese erhebliche
Abweichung ist darauf zurück zu führen, dass die Feuerwehr jeden
Einsatz statistisch erfasst, während beim Zivilschutzamt nur die Einsätze
gelistet werden, bei welchen Personen obdachlos wurden, bzw. Brände
bei denen es zu einem erhöhten Risiko kam.
Aber, sind diese vielen Brände wirklich nur eine Verkettung von
unglücklichen Umständen? Die Favela-Bewohner bezweifeln dies seit
langem, und sie geben sich auch nicht mit den offiziellen Versionen der
Sachverständigen zufrieden, die die Brandherde meist in den illegal
abgezweigten Stromversorgungen, oder aber auf den Müllkippen in den
Favelas ausmachen.
Inzwischen bekommen sie auch die Unterstützung von offizieller Seite,
wie z.B. von Staatsanwalt José Carlos Freitas. Ihm kommt es mehr als
verdächtig vor, dass die Feuerwehr immer zu den Favelas ausrücken
muss, an denen die Immobilien-Haie ein großes Interesse haben.
Ist es wirklich Zufall, dass es immer und immer wieder in der Favela do
Moinho brennt? Diese Favela befindet sich lediglich fünf Minuten Fahrtzeit
von dem Parque Anhembi entfernt, in welchem im Dezember die
Spielgruppen zum Confederations Cup ausgelost werden.
Die Augen der Welt wird auf diese Auslosung, und somit auch auf diese
Region gerichtet sein, schließlich gilt der Confederations Cup als die
Generalprobe zur WM 2014. Darüber hinaus will die Stadt São Paulo
genau dort, wo jetzt die Favela steht, einen S-Bahnhof errichten.
Die Favela soll weg, und zwar so schnell wie möglich. Zwei Wochen vor
dem Ausbruch des letzten Großfeuers hatte die Stadt die Menschen, die in
dieser Favela leben, dazu aufgefordert, diesen Ort bis spätestens im
Oktober zu verlassen.
Die Stimmung der Menschen der Favela ist geteilt. Während ein Teil der
dortigen Bewohner resigniert und sich geschlagen gibt und diesen Ort
verlassen hat, oder aber verlassen will, gibt sich ein anderer sehr großer
Teil der Bewohner kämpferisch.
Vor allem die Menschen, die die Flucht aus der Favela do Moinho wählen
haben meist mehrfach ihr wenig an Hab und Gut bei den vorherigen
Bränden verloren. Sie wollen nicht, dass noch einmal das Wenige in
Flammen aufgeht, oder gar ihre Kinder oder sie selber dort verbrennen.
Die Töne der Menschen, die dort weiter ausharren wollen, werden
aggressiver. Sie weisen darauf hin, dass sie an diesem Ort leben, weil sie
sonst keine andere Wahl haben. Sie fühlen sich von der Regierung
verraten und verlassen. Immer wieder stellen sie die gleichen Fragen:
Warum brennt es nur immer dort, wo der Immobilienmarkt sein
Augenmerk hin gerichtet hat?
Warum wurde in diesem Jahr noch nicht ein Cent in das städtische
Programm zur Brandvorsorge investiert, welches bereits seit 2009
besteht?
In der Statistik erscheinen in São Paulo alleine 1.633 Viertel, welche als
irregule Wohngebiete bezeichnet werden. Von diesen profitierten lediglich
50 von dem städtischen Programm zur Brandvorsorge. Nach den
mehrfachen Großbränden der Vergangenheit in der Favela do Moinho
verfügt diese zwar inzwischen über Hydranten, jedoch wurde es bis dato
versäumt sowohl die dafür notwendigen Schlüssel zu liefern, damit diese
geöffnet werden können, als auch die notwendigen Hydrantenschläuche.
Wirklich alles nur Versäumnisse?
Die dort lebenden Menschen sind davon überzeugt, dass die Stadt São
Paulo keinerlei Interesse daran hat ihre Lebenssituation zu verbessern.
Sie sollen verschwinden – lieber heute als morgen. Aber wohin? Und wie
lange werden sie an einem neuen Ort der Zuflucht bleiben können, bevor
dieser in das Visier der Immobilieninteressenten rückt?
GBC-Team
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